Wenn Jule einmal anfängt zu schreiben … ihr lest ja bisher noch nicht so oft von mir auf dem Blog, aber wenn dann viel. Im heutigen Artikel gibt’s also wieder ordentlich Gedankenfutter zu einem Bereich, den wir als kritische und nachhaltige Konsumenten bedenken sollten.
Die Verschwendung von Ressourcen passt nicht in das Konzept einer nachhaltigen Lebensweise. Leider müssen wir für unsere Ernährung gezwungenermaßen täglich auf Ressourcen dieser Welt zurückgreifen, denn Second-Hand funktioniert auf diesem Gebiet leider nicht so leicht. Grundsätzlich verbraucht die Lebensmittelproduktion also Ressourcen und der Grat zwischen Ressourcenverbrauch und Ressourcenverschwendung ist manchmal schmal. Wer kauft schon nur das Nötigste, nur das minimalistisch Produzierte? Wer baut sein Gemüse im eigenen Garten an und kann auf Transportwege und Verpackungen verzichten? Der Großteil (und ich gehöre meistens dazu) verlässt sich auf die Verfügbarkeit von Produkten in den Einkaufshallen und gibt so die Verantwortung der Nahrungsmittelproduktion ab. Hin und wieder erscheinen dann aber doch mal Dokus über die Zustände der Industrie, die für einen Aufschrei in der Bevölkerung sorgen. Wer den Weg so mancher Produkte bis zu den Anfängen zurückverfolgt, hat vielleicht erstmal keinen Appetit mehr darauf.
Der Schockzustand ist nur von kurzer Dauer, die Themen verschwinden wieder aus der öffentlichen Diskussion, obwohl der Großteil der Menschen sie nicht gutheißt. Aus diesem Grund möchte ich hier im Zusammenhang mit dem Stichwort Verschwendung einen Aspekt der Nahrungsmittelindustrie aufgreifen, um ihn mal wieder ins Gedächtnis zu rufen. Es geht um die Ressource „Tier“.
Ich möchte den Blick auf die Dunkelziffer der Lebewesen lenken, die noch im Produktionsprozess sterben und nicht für den menschlichen Verzehr verarbeitet werden – obwohl das der alleinige Grund für ihre Existenz gewesen ist. Ein paar Zahlen habe ich gefunden, aber die genaue Zahl toter Tiere jährlich (zusätzlich zu den 745 Millionen regulär geschlachteten Nutztieren pro Jahr in Deutschland[1]!) ist kaum zu erahnen.
- 50 Millionen Küken werden pro Jahr direkt nach der Geburt lebend geschreddert oder vergast.
- Männliche Kälber werden entweder nach der Geburt getötet oder absichtlich nicht versorgt.
Sind dir diese Informationen neu? Oder hast du schon mal davon gehört, kennst aber die genauen Hintergründe nicht? Ich habe diese beiden Aussagen auch schon so oft gehört und habe mir für diesen Artikel vorgenommen, auf die Hintergründe zu schauen und Erklärungsansätze dafür zu finden.
Ei-Industrie
Wenn ich bei Info-Veranstaltungen mit Menschen über Küken schreddern spreche, blicke ich oft in schockierte Gesichter. Manche haben davon noch nie gehört, anderen war das Ausmaß der Tiere, die dabei direkt nach ihrer Geburt sterben, nicht bewusst. Die Zahl ist für uns kaum greifbar: Jährlich werden allein in Deutschland ca. 50 Millionen Küken geschreddert oder vergast. Nicht nur Tierrechtsorganisationen wie ProVeg oder Animal Equality prangern das an, sondern auch populäre Magazine oder Formate in Fernsehen oder Internet, die mit Tierrechten sonst nichts am Hut haben. Das Thema ist bei weitem nicht neu, seit vielen Jahren geht es immer mal wieder durch die Medien. Der Konsens bleibt immer gleich: Sowas lehnt man ab!
Das Tierschutzgesetz stuft das Töten aus finanziellen Gründen eigentlich auch als illegal ein, es heißt zum Töten müsse ein vernünftiger Grund vorliegen. Die Realität sieht aber so aus, dass die männlichen Küken der Legehennenzucht millionenfach lebendig geschreddert oder mit Kohlenstoffdioxid bis zum Ersticken vergiftet werden; und das nur, weil sie keine Eier legen und nicht genug Fleisch ansetzen, wie ihre männlichen Leidensgenossen der Masthuhnzucht. Wirtschaftlich gesehen ist es also ökonomischer, sie direkt zu töten – sie erfüllen keinen industriellen Wert. Obwohl die Bundestierärztekammer klar sagt, wirtschaftliche Ineffizienz sei kein vernünftiger Grund für die Tötung von Tieren.[2]
Was passiert indes in den zuständigen Bundesministerien? Die reden von Alternativen, der damalige Landwirtschaftsminister hatte für 2017 den Ausstieg aus dem Kükenschreddern angekündigt. Nun schreiben wir bald das Jahr 2019 und es ist noch kein Ende der Praktik in Sicht. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Problematik seit Anfang 2017 auf dem Tisch, da gegen die Genehmigung des Kükenschredderns Revision eingelegt wurde. Seitdem tut sich jedoch nichts.[3]
Ist jedes Ei aus dem Supermarkt an der verschwenderischen Industrie beteiligt?
Es gibt durchaus Initiativen, die sich die Kükenfreundlichkeit auf die Fahne schreiben. Im ersten Moment wirkt das beruhigend auf den Konsumenten. Wir sollten aber dabei nicht vergessen, dass der Todeszeitpunkt des betreffenden Tiers einfach um ein paar Wochen verschoben wird. Anstatt direkt nach der Geburt zu sterben, wird es ungefähr 16 Wochen aufgezogen (in Biohaltung, konventionell nur 4-6 Wochen), mit rund 3000 anderen Tieren gehalten und dann geschlachtet, obwohl die natürliche Lebenserwartung 6-8 Jahre beträgt und die Hennen normalerweise in einer Gruppe von 5-20 Tieren plus Hahn leben würden. Ist der Tod der Tiere dann weniger schlimm, nur weil es sich nicht mehr um ein niedliches Küken handelt oder weil die Tötungsart (kopfüber im Wasserbad hängend mit Stromschlägen) gesellschaftlich eher akzeptiert ist?
Milch-Industrie
Seit Jahren wird in Deutschland Milch überproduziert – vielleicht ist das auch der Grund, dass Magermilchpulver in Produkten landet, in denen es absolut niemand braucht (um nur einige zu nennen: Schokolade, Chips, manche Energy Drinks, Kroketten…). Verfolgt man den Weg der Milch bis an den Anfang der Produktionskette zurück, steht da ein Tier, welches geschwängert werden muss (dass Kühe nur dann Milch geben, hat auch schon so manche Person an einem unserer Infostände überrascht). Ebenso wie in der Eierindustrie greift in der Milchindustrie das Prinzip der Rassen, die auf ein bestimmtes Merkmal gezüchtet sind: Milchkühe, die hohe Mengen Milch produzieren und Fleischrassen, die viel Muskelfleisch ansetzen sollen. Was nun, wenn eine Milchkuh ein männliches Kalb gebärt, das ja genetisch mit seinen Artgenossen der Fleischzucht gar nicht mithalten kann und auch nicht im Stande ist, Milch zu geben? „Leider häufen sich Hinweise, dass im Einzelfall die männlichen Kälber milchbetonter Rassen gezielt vernachlässigt oder sogar absichtlich getötet werden“[4]. Die Kosten für die Aufzucht dieses Kalbs sind mit dessen Verkauf nicht zu decken, somit führt wirtschaftlicher Zwang und die Unrentabilität der Ressource „Tier“ in einigen Fällen zum frühen Tod der Kälber. Es ist sicherlich nicht zielführend, die Milchviehbetriebe unter Generalverdacht zu stellen, männliche Kälber aus finanziellem Kalkül nach der Geburt zu töten oder absichtlich nicht zu versorgen – Allerdings zeigt der Blick ins europäische Ausland (Irland, Schottland, Italien, Dänemark), dass die Tötung dort legal ist. Ein dänischer Zuchtverband spricht von 30.000 Tötungen pro Jahr in Bezug auf nur eine bestimmte Rasse. Für Deutschland lässt sich so eine Zahl nur schwer ermitteln. Bauernverbände weisen natürlich jeden Vorwurf von sich; Gegenstimmen merken jedoch an, dass es einige Lücken im System gibt, die ein derartiges Vorgehen verschleiern: Erstens müssen Totgeburten nicht dem Amt zur Erfassung der Tierbestände gemeldet werden. Zweitens unterscheiden Tierkörperbeseitigungsunternehmen nicht nach Geschlecht des Tiers, sodass die Abholstatistiken keine Auskunft über den Anteil männlicher Kälber liefern. Wir müssen weiter im Dunkeln tappen, können aber Schlimmes erahnen. Einen weiterführenden Einblick in die Thematik liefert die NDR-Dokumentation Armes Kalb – Abfallprodukt der Milchindustrie.
Fazit: Gestorben in Gefangenschaft
Die beiden Abschnitte zur Eier- und Milchindustrie haben nur einen kleinen, aber womöglich den am brutalsten erscheinenden Aspekt der Nutztierhaltung beleuchtet. Küken und Kälber verbringen mitunter nicht einmal 24 Stunden auf diesem Planeten, bevor sie ihn wieder verlassen müssen. Wie mehrfach erwähnt, handelt es sich bei diesen Praktiken eigentlich um illegale Verfahren der Tötung, die gegen das Tierschutzgesetz verstoßen. Nebenbei bemerkt habe ich schon mehrfach feststellen müssen, dass einige Vegetarier sich dieser Umstände nicht bewusst sind, obwohl die Entscheidung zum Vegetarismus ihrer Aussage nach ethisch-moralische Gründe hat.
Bisher unerwähnt, aber ebenfalls zum Tagesgeschäft der Industrie zugehörig, sind die Tiere, die während Aufzucht bzw. Mast sterben. Egal ob Hühner, Schweine oder Rinder (um nur die drei großen Nutztierarten zu nennen): Die Haltung auf engstem Raum in zu großen Gruppen erhöht die Anfälligkeit für Infektionskrankheiten, verursacht Stress und führt mitunter sogar zu Kannibalismus. Wie reagieren die nach der Maxime des Profits handelnden Betreiber und Gesetzgeber? Sie gestatten Schnäbel kürzen bei Hühnern, Enthornungen bei Rindern und Schwanzamputationen bei Schweinen – damit die Tiere sich gegenseitig weniger verletzen können.
Aber nicht nur der winzige Lebensraum, sondern auch die auf Hochleistung gezüchteten Körper der Arten stellen ein Gesundheitsrisiko für die Tiere dar. Gerade Hennen und Milchkühen sieht man diese Dauerbelastung mitunter an. Bei Hühnern die entzündeten Eileiter, bei Milchkühen entzündete Euter. Da Bilder meist mehr sagen als Worte, möchte ich an dieser Stelle noch auf eine Bildserie verweisen. Bilder und Videos gibt es ja zur Genüge und ich möchte hier eigentlich keine Schockbilder verwenden, diese Bildserie finde ich aber besonders bezeichnend, da es sich um „Vorzeigehöfe der Eierindustrie“ handelt.
Missstände erkennen – eigenes Handeln überdenken?
Zurück zum Eingangstext, wo ich vom Aufschrei in der Gesellschaft schrieb. An sich ist wahrscheinlich der Großteil der Bevölkerung gegen Tierquälerei – wer würde aktiv das Töten von Küken und Kälbern befürworten? Wer würde die Missstände in der Nutztierhaltung kleinreden? Trotzdem scheint der Schritt zur bewussten Konsumveränderung so schwer zu fallen. Über Missstände aufregen kann sich ja jeder – aber aktiv etwas dagegen tun? Zugegeben, ich habe in dem Artikel auch erstmal nichts Anderes getan, als die Missstände offenzulegen. Lösungen habe ich keine präsentiert. Ich könnte euch meine Lösung sagen, die für mich passt (ihr könnt es euch sicher denken). Ich möchte aber nichts als universelle Lösung für alle propagieren. Ich wünsche mir, dass jede*r bestehende Glaubensmuster und Traditionen kritisch hinterfragt, in verschiedene Richtungen denkt, mit den eigenen Werten abgleicht und sein Verhalten entsprechend ändert.
[1] Erhebung vom Statistischen Bundesamt, 2017: https://www.destatis.de/DE/PresseService/Presse/Pressemitteilungen/2018/02/PD18_038_413.html
[2] https://www.wir-sind-tierarzt.de/2015/06/bullenkaelber_fuer-die-tonne/
[3] Zu den Hintergründen des Urteils und der Revision: https://www.animalequality.de/neuigkeiten/bundesverwaltungsgericht-prueft-kuekenschreddern-urteil
[4] Zitiert aus der Stellungnahme zur Versorgung von Bullenkälbern der Milchviehrassen von der Bundestierärztekammer –https://www.shz.de/13652261
Ein wirklich gut recherchierter Artikel! Es ist wirklich schlimm, was der Mensch sich alles so rausnimmt und Tiere nur als seelenlose Ressourcenquelle betrachtet 🙁